VENEZIANISCHE IMPRESSIONEN
    2007 / 4

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Die Tauben Venedigs

Ein wissenschaftlicher Bericht über ihre Tauben beschäftigt die Venezianer momentan. Verhaltensforscher und Biologen haben herausgefunden, welche Taubenverrichtungen dem Erbe der Ewigkeit der Serenissma besonders zusetzen:

1. Sie picken den weissen Kalk der grandiosen Kirchen und Palazzi ab, um ihrem Magen notwendige Ballast- und Verdauungsstoffe zuzuführen. Wenn das so weitergeht, wird von Venedig nicht mehr als ein Meer von zerpickten Steinen übrigbleiben.

2. Sie grübeln mit ihren Schnäbeln die Fugen vom Mörtel leer, um sich Nist- und Sterbeplätze zu schaffen.

3. Ihre Fäkalien sind so aggressiv, dass sie auch dem besten Marmor beikommen.

4. Ausserdem sind sie Träger von Borreliose und Salmonellen und eigentliche Milbenschleudern.

Natürlich war das Problem der Taubenbevölkerung, welche doppelt so gross ist wie diejenige der Venezianer, schon früher bekannt. Das Blöde ist nur, dass hier eine der beliebtesten Attraktionen der Stadt auf dem Spiele steht: nämlich das Taubenfüttern und -karessieren auf der Piazza San Marco. Auch wenn der Spass nicht ganz hygienisch ist, wird er doch von allen mit Inbrunst betrieben.

Und wo eine Leidenschaft ist, ergibt sich bekanntlich auch ein kleines Geschäft. 18 bei der Stadt akkreditierte Kleinunternehmer sorgen sich um das Wohl des staubigen Federviehs und verkaufen in grossen Tüten Maiskörner, die reissenden Absatz finden. Und so lassen sich die Leute denn die Körner aus dem Mund picken und sind ganz glücklich, wenn ihnen mehr als eine Taube in den Haaren wühlt.

Man weiss von unseren Taubenmüttern, dass gutes Futterangebot die Nachkommenschaft fördert. Deshalb war eine erste Massnahme der Stadtbehörden, die Souvenirverkäufer von Venedig zu kontingentieren, da es früher viel mehr von ihnen gab. Das war schon eine verwaltungstechnische Meisterleistung, denn die waren gar nicht bereit, bei so guten Geschäften das Feld einfach  zu räumen. Nur das schlaue Argument, sie verschandelten mit ihren Ständen den Anblick der hehren Gebäude, hatte Wirkung, da sich alle Venezianer der Abhängigkeit von ihrem kunsthistorischen Schätzen bewusst sind.

Der oben genannte Bericht wurde jetzt nach Rom geschickt, weil man sich wohl erhofft, dass man damit die Lobby der Maisverkäufer umgehen könne und dort ein Machtwort gesprochen werde.

Andere behelfen sich mit weit raffinierteren Methoden. Die Scuola die San Rocco in unserer Nachbarschaft hat das ganze Gebäude mit elektrisch geladenen Drähten überzogen, an die sich bisher erst einige ganz besonders fitte Tauben gewöhnt ha-

ben. Aber nach Darwin wird ihre Fitness bald Scharen von elektroresistenten Nachkommen zur Folge haben.

Eine andere Methode, die ebenfalls von den Tintoretto-Wächtern angewandt wird, hat in der Schweiz eine zeitlang ganze Dörfer tyrannisiert, bis man einsah, dass sich die Vögel noch schneller an die Knallerei in den Obsthainen gewöhnen als ans Elektrische. In den Vorhöfen der Kirche, wo es besonders laut hallt, haben die Patres kleine Geräte angebracht, die das in der Nacht wunderbar ruhige und nur von menschlichen Stimmen bevölkerte Quartier, mit schnei-

denden Peitschenhieben im Sekundentakt überziehen. Eine Auswahl besonders fitter Tauben (siehe oben) trippelt aber bereits wieder unbeeindruckt in den Hallen herum und verstreut fleissig Guano.

Unterdessen ist es ruhiger geworden im Quartier. Vielleicht haben die Nachbarn nun doch reklamiert. Geblieben ist das Ticken des Impulsgebers, der die Nacht wie eine Uhr strukturiert. Wenn die Tauben partout nicht folgen wollen, wird man wohl etwas gröberes Geschütz gegen sie in Anschlag bringen müssen. Wie wär's mit Maschinengewehren?